Das Älterwerden muss nicht zwangsläufig als ein Weg des Niedergangs betrachtet werden, sondern kann auch als ein Weg zur Meisterschaft gesehen werden. Denk nur an den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt, der bis ins hohe Alter für seine messerscharfe Analyse und geistige Klarheit bekannt war. Glückssache? Mein Zen-Lehrer, Rients Ritskes, hat zu diesem Thema einen Artikel geschrieben, den ich hier gerne teile.

Jung sein oder weise werden?
In unserer westlichen Kultur herrscht oft die Vorstellung, dass es besser ist, jung zu sein: dynamischer, flexibler, attraktiver. Die Werbewelt und die sozialen Medien verstärken dieses Bild täglich. Aber in der japanischen Kultur, und ganz sicher im Zen-Buddhismus, ist Weisheit das Streben. Und weil die Weisheit bekanntlich mit dem Alter kommt, kann man sich auf das Älterwerden freuen und die Falten im Gesicht als stolzen Beweis der Reife tragen.
Zen zeigt uns, dass die wesentliche Entwicklung nicht in unserem Körper stattfindet, sondern in unserem Geist. Mit dem Alter wächst bei denen, die bewusst praktizieren, die Fähigkeit zu klarer Sicht, zu Mitgefühl, zu vertiefter Ruhe im Sturm.
Ein Blick auf die Zahlen
Eine aktuelle, gut validierte Veröffentlichung von Dezember 2024 zeigt, dass Japan pro Kopf mehr als doppelt so viele Hundertjährige zählt wie Deutschland. In Japan gibt es über 95.000 Menschen, die 100 Jahre oder älter sind – das entspricht etwa 1 von 1.300 Einwohnern. Zum Vergleich: In Deutschland liegt dieses Verhältnis bei etwa 1 von 3.300. Die Forscher stellen außerdem fest, dass viele dieser Hundertjährigen bis ins hohe Alter unabhängig bleiben und ein bemerkenswert geringes Risiko für Herzkrankheiten, Demenz und Krebs aufweisen. Sie leben 97 % ihres Lebens ohne schwere Krankheit.
Das Geheimnis der Langlebigkeit
Was ist der Grund für diese bemerkenswerte Langlebigkeit? Die Forschung weist auf eine Kombination von Faktoren hin:
Kurz gesagt: eine Lebenseinstellung, in der das Älterwerden als ein reicher Wachstumsprozess der Vertiefung gesehen wird, an dem man gemeinsam arbeitet, indem man sich gegenseitig zu einem guten Lebensstil ermutigt.
Der Meister wird geformt, nicht geboren
Wer lange meditiert, lernt, dass jede Erfahrung – auch Verlust, Schmerz und Alter – Teil des Weges ist. Der Zen-Meister wird nicht geboren, sondern bildet sich durch jahrelange Praxis, durch Fallen und Aufstehen und durch viel hingebungsvolle Achtsamkeit. So gesehen ist das Älterwerden keine tragische Begleiterscheinung des Lebens, sondern ein kontinuierlicher Wachstumsprozess.
Anstatt das Alter zu verstecken, zu leugnen oder zu fürchten, sollten wir es als Herausforderung sehen, auf die man sich durchaus freuen kann. Lasst uns die Falten loben, zeigen, ehren und feiern. Es lebe das Alter! Die Falten der Haut sind die Zeichen der Entfaltung des Geistes.
Quellen:
- Kyodo News (September 2024): No. of centenarians in Japan up for 54th straight year to over 95,000.
- Statistisches Bundesamt (Destatis, April 2024): Zahl der 100-Jährigen und Älteren im Jahr 2023 um 6 % gestiegen.
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Rients Ritskes
Zen-Meister und Gründer von Zen.nl
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