Sofort mehr Ruhe im stressigen Alltag gewinnen
Von Leonne Boogaarts
Gefangen im Hamsterrad
Zum Thema zenvolles Zeitmanagement fragte ich im Kurs, wie die Anwesenden ihre Zeit organisieren. Eine Kursteilnehmerin sagte mir, wenn du die Miete zahlen musst, Kinder zu versorgen hast und nebenbei auch noch den Haushalt führst, dir wenig Spielraum fürs Organisieren von Zeit bleibt und du nur noch funktionierst. Gerade in der sogenannten Rushhour des Lebens, jener Lebensphase, in der berufliche, familiäre und private Anforderungen ein hohes Maß annehmen, haben wir kaum Möglichkeiten, unsere Zeit selbstbestimmt zu gestalten. Und das macht Stress.
Unsere Reaktion auf Stress ist, etwas dagegen zu unternehmen. Unternehmen heißt dann, eine extra Joggingrunde, einen Yoga- oder Meditationskurs oder vielleicht mal einen Kurzurlaub. Sinnvolle Maßnahmen – sie haben nur einen Haken: Sie kosten Zeit in einem schon zu vollen Terminkalender. Man sollte sich den Terminkalender mal richtig vornehmen und darin gehörig streichen. So verlockend das klingt, es ist keine einfache Aufgabe. Was soll man machen: Beruflich zurücktreten? Sich weniger um die Kinder kümmern? Sein letztes Hobby streichen?

Ma: Die unsichtbaren Atempausen in deinem Alltag
Im Japanischen kennt man den Begriff Ma ↗. Wörtlich übersetzt bedeutet er „Zwischenraum“ oder „Pause“ und kann sich sowohl auf räumliche als auch auf zeitliche Intervalle beziehen. Denk an den Raum zwischen zwei Personen, einen Flur, der Zimmer verbindet, oder im zeitlichen Sinne an eine Atempause, eine Öffnung, ein Intervall. Solche Zwischenzeiten gibt es oft mehr, als wir denken. Wir drehen so fleißig mit im Rad, um alles unter einen Hut zu bekommen, dass wir nicht mal merken, dass das Rad auch manchmal stillsteht: zwischen zwei Aufgaben, auf dem Weg zur Arbeit im Stau, während wir auf den Kaffee warten oder die Stille in einem Gespräch …
Das Zeichen für Ma 間 besteht aus dem Zeichen für Tor 門 und dem Zeichen für Sonne 日. Es ist nicht nur ein Raum, sondern ein energiegeladener Raum, in dem etwas entstehen kann. Zeitlich ist es der Raum, in dem das Leben mal die Chance hat, aufzuatmen.
Warum wir die Ma-Zeit übersehen: die moderne Perspektive
In unserer von Produktivität und Effizienz geprägten Zeit sehen wir diese Zwischenmomente oft als Zeitverschwendung. Ich wohne an einer Kreuzung mit einer Ampel und höre, wie die Autofahrer diese Wartezeit mit Stress füllen. Wenn das Auto vor ihnen nur einen Moment zögert, wird sofort gehupt. Eine nur fünf Minuten verspätete U-Bahn führt zu Irritationen und eine langsame Kaffeemaschine muss dringend durch eine schnellere Variante ausgetauscht werden. Wenn wir auf den Bus warten, zücken wir gern unsere Handys, checken unsere Nachrichten, schauen, was in den sozialen Medien los ist, oder vertreiben die Zeit mit einem Spiel. Statt diese Ma-Zeit zu füllen, können wir sie bewusst erleben. Welche Gedanken kommen auf? Wie fühlen wir uns gerade? Was passiert um uns herum?
Ma bewusst erleben: Der einfache Weg zu mehr Ruhe und Raum
Unser Gehirn braucht diese „leeren“ Momente, um optimal zu funktionieren. Es ist nicht dafür gemacht, pausenlos externe Informationen zu verarbeiten und auf spezifische Aufgaben fokussiert zu sein. Gerade in diesen ungestörten Zwischenräumen – der Ma-Zeit – hat unser Gehirn die Möglichkeit, die Flut an täglichen Eindrücken zu verarbeiten, Informationen zu sortieren und scheinbar disparate Daten miteinander zu verknüpfen. Hier entstehen oft unbewusst neue Ideen, Perspektiven oder Lösungen für Probleme, die uns zuvor beschäftigten. Es ist eine Phase der inneren Inkubation, die entscheidend für Kreativität und geistige Erholung ist.
Wenn wir uns darin üben, diese Ma-Momente bewusst wahrzunehmen, werden wir merken, dass sie den ganzen Tag über auftauchen. Diese bewusste Entscheidung, die ungefüllte Zeit zuzulassen, lindert den Zeitdruck und Stress sofort. Es erfordert keine zusätzlichen Termine für Entspannungsaktivitäten und auch keinen Verzicht auf wichtige berufliche oder private Verpflichtungen. Wir brauchen lediglich unsere Perspektive zu ändern: Statt diese Zwischenzeiten als Zeitverschwendung zu sehen, sehen wir sie eher als Oasen der Ruhe, eine Zeit, die dem Leben den Raum gibt, zu atmen.
Seit ich mich mit diesem Thema auseinandersetze und auf die Ma-Momente achte, finde ich immer mehr solche Oasen. Indem man sie ehrt und nicht versucht, zu füllen, scheinen sie sich zu vermehren und deutlich mehr Ruhe und Entspannung in einem stressigen Alltag zu bringen.
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Leonne Boogaarts
Zen-Lehrerin und Gründerin von Zen-Meditation Berlin
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