Arugamama: wenn dein Schicksal der Weg wird

Manchmal stürmt es heftig im Leben. Schicksalsschläge treffen dich unerwartet und werfen dich aus deiner Bahn. Alles, was du dir vorgenommen hattest, steht jetzt im Wartestand oder muss ganz aufgegeben werden. Stattdessen musst du dich erst einmal um deine Gesundheit, deine Familie oder deine Finanzen kümmern.

Wir sehen solche Schicksalsschläge oft als Hindernisse auf unserem Lebensweg. Wir könnten sie aber auch als den Weg selbst sehen, als natürliche Herausforderungen, die uns alle immer wieder treffen. Natürlich ist das Schicksal nie gerecht; den einen trifft es härter als andere. In allen Fällen hat es jedoch wenig Sinn, dagegen anzukämpfen. Das Geschehene können wir nicht ungeschehen machen.

So ist es

Im Japanischen gibt es den Begriff Arugamama (あるがまま). Er bedeutet so viel wie: „So ist es“. Er lädt uns ein, das Leben und die Situation, in der wir uns befinden, ohne Wenn und Aber anzunehmen – auch oder gerade wenn sie äußerst schmerzlich oder schwierig ist und die Akzeptanz uns als eine fast unüberwindbare Herausforderung erscheint.

Das Schicksal fordert manchmal unsere ganze Kraft und zwingt uns zu Entscheidungen, die wir so gar nicht treffen wollen. Die schwierige finanzielle Lage zwingt uns, unser Haus zu verkaufen; die Beziehungsprobleme stellen uns vor die Frage, bleiben oder gehen; durch gesundheitliche Einschränkungen müssen wir kürzertreten. Solange wir noch gegen unser Schicksal kämpfen, gehen wir die Probleme nicht wirklich an, sondern verlieren wertvolle Zeit und Energie. Der Gedanke „So ist es“ – Arugamama – wirkt da oft wie ein Befreiungsschlag.

Schwarz-Weiß-Strichzeichnung eines breiten, gewundenen Pfades, auf dem große Felsbrocken und viele kleine Kieselsteine als Symbol für Hindernisse (Schicksal) liegen.

Die Kluft im Lebensweg

Man kann sich solche Schicksalsschläge wie eine tiefe Kluft vorstellen, die unser Leben durchzieht und es in ein „Vorher“ und ein „Nachher“ teilt. Dies können durchaus erfreuliche Geschehnisse sein – die einmalige Chance auf einen guten Job, die Geburt eines Kindes, die Heilung einer Krankheit. Aber eben auch schwere Ereignisse – der unerwartete Tod des Partners, der Jobverlust oder ein Krieg, der die Heimat trifft.

Plötzlich befindet man sich auf der anderen Seite der Kluft, und es gibt kein Zurück mehr. Wir müssen uns erst an die neue Situation gewöhnen und schauen oft eine Weile voller Trauer zur anderen Seite, wo das Leben noch vertraut und in Ordnung erschien. Wir bleiben bei dieser Kluft stehen und suchen nach Wegen, um wieder zurückzukehren. Bis wir die Erkenntnis gewinnen, dass wir nicht ewig hier stehen bleiben können und uns irgendwie an dieser Seite der Kluft zurechtfinden müssen.

Das menschliche Los: Transformation und Bewusstsein

Solange die Welt besteht, gibt es eine ständige Bewegung von Transformation, von Untergang und Wiedergeburt. Altes wird zerstört, Neues entsteht. Doch erst mit dem Menschen ist ein Wesen entstanden, das dies alles bewusst miterlebt. Ein Wesen, das weiß, dass Veränderung und auch der eigene Untergang unvermeidlich sind. Es ist unser Bewusstsein, das manche Veränderungen als Freude und andere als Leid identifiziert. Und es ist dasselbe Bewusstsein, das daraufhin nach Strategien sucht, um das Leid zu bewältigen. Hieraus entstehen Religionen und Philosophien – aber auch unsere alltäglichen Vermeidungsstrategien.

Eine minimalistische Sumi-e-Tuschezeichnung eines kleinen Vogels im japanischen Stil. Das Bild verwendet ausdrucksstarke schwarze Pinselstriche auf weißem Papier und konzentriert sich auf die wesentliche Form, Bewegung und den negativen Raum, um eine ruhige und elegante Zen-Ästhetik zu erzeugen.

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Vermeidungsstrategien

Der Weg der Akzeptanz ist oft eine unendlich schwierige Herausforderung. Es ist zutiefst menschlich, dass unsere Psyche Abwehrmechanismen bereithält, um den schmerzlichen Moment der Erkenntnis hinauszuzögern. Diese Strategien halten uns jedoch oft bei der Schicksalskluft gefangen. Einige Beispiele:

Wir suchen nach einem Schuldigen, von dem wir erwarten, dass er oder sie die Sache für uns löst. Wir machen uns Selbstvorwürfe und glauben, wir hatten es verdient. Wir resignieren und verfallen in Fatalismus. Oder wir fluchten uns in Ablenkung oder Betäubung, wie Genuss, Arbeit oder Rauschmittel. Diese Reaktionen sind verständlich, doch sie verhindern, dass wir die Energie finden, unser Leben unter den neuen Umständen zu gestalten.

Samsara und Nirwana: den Kreislauf verstehen

Um die buddhistische Sicht auf das Leiden und die Befreiung zu verstehen, hilft das Begriffspaar Samsara und Nirwana. Samsara bezeichnet den endlosen Kreislauf von Geburt, Tod und Wiedergeburt, der von Leiden geprägt ist und durch Gier, Hass und Unwissenheit angetrieben wird. Demgegenüber steht Nirwana, das „Verlöschen“ dieser Kräfte und damit die Befreiung vom Kreislauf und dem Leiden.

Das Nirwana im Samsara finden: die Zen-Perspektive

Während manche buddhistische Schulen Nirwana als eine andere Welt sehen, lehrt der Zen-Buddhismus eine radikalere Sicht: Samsara ist Nirwana. Das bedeutet, die Befreiung liegt nicht außerhalb unseres jetzigen Lebens, sondern mitten darin.

Durch Arugamama – die Bereitschaft, die Realität (Samsara) in all ihren Aspekten, auch den schmerzlichen, anzunehmen – heben wir die Trennung auf zwischen dem, was wir wollen, und dem, was tatsächlich ist. Indem wir aufhören, gegen die Realität zu kämpfen, finden wir unseren Frieden mit ihr. Wir beenden das sekundäre Leiden: das Leiden, das wir uns durch unseren Widerstand gegen eine unvermeidbare Wirklichkeit selbst zufügen, und setzen die notwendigen Kräfte frei, um mit der neuen Realität klarzukommen. Die Meditation ist hierbei eine zentrale Übung, um diese Haltung zu kultivieren und die Einheit von Samsara und Nirwana erfahrbar zu machen.

Erleuchtung als Weg, nicht als Ziel

Diese Fähigkeit, das Schicksal anzunehmen, ist vielleicht die wahre Bedeutung von Erleuchtung. Es ist keine plötzliche, endgültige Errungenschaft, sondern die Entwicklung der Fähigkeit, immer besser mit dem Unvermeidlichen umzugehen und es vollständig zu akzeptieren. Das wird nicht auf Anhieb gelingen, und vielleicht auch nie in seiner Gänze. Aber wir können uns darin üben, immer besser zu werden.

Auf jeden Fall können wir versuchen, schwierige Situationen und Schicksalsschläge nicht länger als Hindernisse auf unserem Weg zu sehen, sondern als den Weg selbst. Statt vor dem Schicksal wegzurennen, gehen wir unseren Weg mit der Zuversicht, dass wir die Herausforderungen, die uns erwarten, meistern und uns wahrhaft über die leichteren und schöneren Strecken freuen können.

Möchtest auch du dich auf den Zen-Weg machen? Dann bist du herzlich willkommen zu unserem Zenkurs oder nimm an einer Probestunde teil und probiere selbst aus, ob Zen zu dir passt. Die nächste Probestunde ist am Donnerstag, dem 26. Juni, um 19:15 Uhr. Hier geht es zur Anmeldung.

Porträt von Leonne Boogaarts, Zenlehrerin und Gründerin von Zen-Meditation Berlin, mit lockigem, schulterlangem braunen Haar, schwarzem Oberteil und hellem Hintergrund.

Zen-Lehrerin und Gründerin von Zen-Meditation Berlin

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