„Gnōthi seautón“ (γνῶθι σεαυτόν) oder „Erkenne dich selbst“ war die berühmte Inschrift am Apollotempel in Delphi. Es ist ein aus der Antike stammender Aufruf zur Selbsterkenntnis und Untersuchung der eigenen Gedanken, Motive und Handlungen. Er war ein zentraler Grundsatz in der antiken griechischen Philosophie, insbesondere in den Lehren von Philosophen wie Sokrates, Platon und Aristoteles. Diese Weisen betonten die Bedeutung der Selbstwahrnehmung für ein sinnvolles und erfülltes Leben.
Auch bei Zenbogen erstreben wir ein sinnvolles und erfülltes Leben. Deshalb folgen wir im nächsten Kurs dem Aufruf aus der Antike. Wir nehmen uns vier Wochen die Zeit, um uns mit dem Thema der Selbstwahrnehmung und Selbsterkenntnis zu beschäftigen.
Selbstwahrnehmung im Christentum
Die Selbstwahrnehmung spielt auch im Christentum eine wichtige Rolle. In diesem Kontext wird Selbstwahrnehmung gesehen als ein wichtiger Aspekt des spirituellen Wachstums. Durch die Erkenntnis ihrer Schwächen und Stärken können Christen an sich selbst arbeiten, ihre Schwächen überwinden und ihre geistlichen Gaben kultivieren. Diese Praxis fördert Demut und die Suche nach Gottes Führung im täglichen Leben.
Kein Selbst im Zen-Buddhismus
Die Zen-Buddhisten haben eine ganz andere Perspektive auf das Selbst: Sie betrachten es als Illusion. Im Gegensatz zur Vorstellung eines festen, unabhängigen und unveränderlichen Selbst, sehen sie es als eine Konstruktion des Geistes, eine Zusammenstellung sich ständig verändernder physischer und mentaler Prozesse. Dieses konstruierte Ego entsteht aus unseren Gedanken, Gefühlen, Erinnerungen und Erfahrungen. Es gibt uns ein Gefühl der Abgeschiedenheit und Individualität.
Im Mai 2024 erschienen: das Basisbuch zum Zen-Training
Nur ein Selbstbild?
Das Ego ist deine Identifikation mit der Antwort auf die Frage: Wer oder was bin ich? Bei Zenbogen definieren wir das Ego als „den Körper und Geist steuerndes Selbstbild“. Im Laufe deines Lebens baust du ein Bild von dir auf. Dieses Bild entsteht durch die Erfahrungen, die du machst, und die Überzeugungen, die du daraus gewinnst, aber auch dadurch, wie andere über dich denken. Aus all diesen Elementen erschaffst du deine Geschichte.
Oder ein Narrativ?
Vielleicht erzählst du folgende Geschichte über dein Leben: „Ich bin ein unsicherer Mensch. Das liegt daran, dass ich der Jüngste bin und mein älterer Bruder und meine ältere Schwester auch viel schlauer waren als ich. Ich bin zur Realschule gegangen, wo sie das Abitur geschafft haben.“ Diese Geschichte ist nicht unbedingt wahr oder unwahr, aber sie ist einseitig. Du könntest aus denselben Ereignissen leicht eine andere Geschichte mit dazu passendes Selbstbild machen. Zum Beispiel: „Weil ich das jüngste von drei Kindern bin, musste ich mich immer wehren. Das hat mir Selbstvertrauen und Durchhaltevermögen gegeben, sodass ich immer das Beste aus mir heraushole und mit nur einem Realschulabschluss jetzt einen sehr guten Job habe“.
In unserem Kurs schauen wir unsere eigenen Geschichten an, und entdecken, wie gleiche Ereignisse zu unterschiedlichen Lebensgeschichten führen können. Sich seiner eigenen Geschichte bewusst zu sein, schafft Änderungsmöglichkeiten und Raum für Weiterentwicklung.
Sein Ego durchschauen
Im Buddhismus und anderen Traditionen gibt es zwar Tendenzen, die zur Überwindung oder gar Tötung des Egos aufrufen, bei Zenbogen verfolgen wir jedoch eine andere Herangehensweise. In unseren Kursen ermutigen wir die Teilnehmenden, ihr Ego einfach nur wahrzunehmen, ohne es zu analysieren oder zu bewerten. Während wir meditieren, beobachten wir unsere Gedanken und Gefühle, und mit der Zeit werden wir fähig, die Muster und Gewohnheiten des Egos zu erkennen. Auf diese Weise wird das Ego transparenter und wir durchschauen seine einschränkende oder trügerische Wirkung. Dadurch lockern wir unsere Identifikation mit dem Ego, was Raum für Veränderung, persönliches Wachstum und Entwicklung schafft.
Leonne Boogaarts
Zen-Lehrerin und Gründerin von Zen-Meditation Berlin
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