Spielfreude als Lebensquelle

Es gibt Menschen, die trotz größter Sorgen einen schönen Abend mit Freunden genießen oder trotz Krankheit Dankbarkeit für die Menschen empfinden können, die sie pflegen. Woher holen sie die Kraft, trotz schwieriger Umstände, ihre Freude am Leben zu bewahren?

Obwohl diese Resilienz nicht jedem gegönnt scheint, gibt es Situationen, in denen eine ähnliche Kraft bei viel mehr Menschen zutage tritt: das Spiel. Im Spiel können Menschen schwer verlieren und trotzdem voller Freude zum nächsten Spiel antreten. Wo im echten Leben die Lebensfreude schwindet, wenn es schwierig wird, scheint im Spiel eine große Resilienz gegen den Frust des Verlustes allgegenwärtig zu sein. Woher holt der spielende Mensch diese Kraft, die uns im „echten“ Leben oft fehlt?

Schwarz-Weiß-Zeichnung einer einzelnen, widerstandsfähigen Blume mit einigen Blättern, die kraftvoll aus einem tiefen Riss in einem gepflasterten oder trockenen, rissigen Boden wächst. Die Risse im Boden breiten sich von der Blume nach außen aus. Symbol für Hoffnung, Resilienz und neues Leben.

Der Mensch als spielendes Wesen

Kurz nach seiner Geburt fängt das Baby bereits an zu spielen. Dieser Spieltrieb setzt sich beim Kleinkind fort und reicht bis in die Pubertät. Mit dem Alter gerät die Bedeutung des Spieles im Hintergrund und wird beim Erwachsenen zur reinen Nebensache. Der Ernst des Lebens tritt im Vordergrund. Viele Spieltheoretiker sehen das Spiel deshalb vorwiegend als Entwicklungsinstrument für Kinder auf ihrem Weg des Erwachsenwerdens.

Spieltheoretiker wie Brian Sutton-Schmidt sehen hierin eine Verengung der Perspektive auf das Spiel, die seinem Potenzial nicht gerecht wird. Den Spieltrieb sehen sie als einen Teil des Menschseins, der auch nach der Kindheit noch da ist. Das Missverständnis des nicht spielenden Erwachsenen kommt daher, dass wir nur das Kinderspiel als echtes Spiel anerkennen. Auch Erwachsene spielen. Ihre Spiele sind jedoch oft komplexer, strukturierter und vielmehr in den Alltag eingebunden. Das bringt uns zur grundlegenden Frage, was denn ein Spiel genau ist.

Was ist ein Spiel?

Wenn wir versuchen, das Spiel zu definieren, merken wir, dass wir es nur schwer einordnen können: das kindliche Spiel mit dem Baukasten, Rollenspielen, Sportspiele, Brettspiele, Puzzlespiele, Computergames und auch Hobbys haben spielerische Elemente. Manche Spiele haben deutliche Ziele, die das Ende des Spieles markieren, andere können gespielt werden, bis sie keinen Spaß mehr machen, manche sind stark kompetitiv, andere eher kooperativ. Das Spiel scheint so umfassend wie das Leben selbst.

Die Merkmale des Spieles

Es gibt einige Merkmale, die wir dem Spiel zuordnen könnten oder die zumindest für viele Spiele gelten. Wir spielen meistens freiwillig und um des Spieles selbst willen. Wir sind nicht gezwungen zu spielen, im Gegensatz zur Arbeit, wo uns beim Nichterscheinen die Kündigung droht. Außerdem bekommen wir keine Belohnung dafür, vergleichbar mit dem Lohn, den wir mit unserer Arbeit verdienen.

Ein zentraler Aspekt von Spielen ist, dass wir bewusst Schwierigkeiten hineinbauen, die es zu überwinden gilt. Beim Kartenspiel sollen bestimmte Kartenmuster gesammelt werden. Die Herausforderung entsteht durch die begrenzten Möglichkeiten, an die gewünschten Karten zu gelangen. Beim Volleyball ist das Ziel, den Ball auf den gegnerischen Boden zu bringen. Die Schwierigkeit liegt darin, dass der Ball den eigenen Boden nicht berühren darf und über ein Netz gespielt werden muss. Und im Schachspiel, wo jede Figur ihre spezifischen, einschränkenden Bewegungsregeln hat, besteht die Herausforderung darin, den gegnerischen König trotz dieser Beschränkungen und der Züge des Gegners mattzusetzen. Es sind diese Herausforderungen, die den Reiz des Spieles ausmachen. Die Belohnung liegt in der wiederholenden Bewältigung dieser selbst gewählten Schwierigkeiten.

Der Unterschied zum Alltag

Ganz freiwillig und ohne externe Belohnungen stellen wir uns den Herausforderungen des Spieles. Dies im Gegensatz zum Alltag, wo wir Herausforderungen eher meiden: Wir wollen schnell zum Ziel und wünschen uns auf dem Weg dahin keine Hindernisse. Wenn die Arbeit zu viele Herausforderungen mit sich bringt, versuchen wir sie technisch zu beseitigen oder verlangen eine entsprechend hohe (externe) Belohnung dafür. Im Spiel ist die Herausforderung das wichtigste Element und das Ziel zweitrangig. Im Alltag geht es primär um das Ziel, warum wir überhaupt willens sind, Herausforderungen in Kauf zu nehmen.

Der Zenkurs als Spiel

Jede Woche treffe ich mich mit den Kursteilnehmern zum Zenkurs. Auch hier bauen wir Herausforderungen ein: Wir sitzen auf unbequemen Kissen, stellen uns während der Meditation unsere Ungeduld und nehmen es hin, wenn die Beine gegen die unbequeme Haltung protestieren. Es gibt einen festen Ablauf und Rituale, und immer wieder machen wir Fehler. Wir vergessen das Gassho bevor wir das Teeglas vom Servierbrett nehmen oder stellen es nach dem Trinken schon auf den Boden, statt auf die anderen zu warten. Es ist ein kooperatives Spiel, in dem es keine Verlierer gibt. Zusammen üben wir unsere Aufmerksamkeit und werden jede Woche besser.

Diese Prinzipien des Zenkurs als Spiel lassen sich auch auf andere Lebensbereiche übertragen, wie zum Beispiel Meetings. Die Herausforderung besteht darin, die anderen im Team von unseren Argumenten zu überzeugen, genau wie das auch unsere Gegenspieler versuchen. Es gibt bestimmte Rituale: Wir folgen einer Tagesordnung, wir spielen verschiedene Rollen und lassen die anderen aussprechen. Statt uns über unsere „Gegner“ zu ärgern, könnten wir sie als Mitspielenden sehen, mit denen wir zusammen die für das Team beste Lösung suchen. Das Team, das dies am besten hinbekommt, gewinnt viel mehr als nur ein gutes Meeting.

So gibt es viele Beispiele im Alltag, die auch als Spiel gesehen und gespielt werden könnten und so viel mehr Freude bringen würden.

Die Freude an Spielen

Spielen macht uns Freude. Ohne jede Verpflichtung widmen wir unserer Freizeit dem Spiel, das zu uns passt. Das bedeutet jedoch nicht, dass Spiele immer Spaß machen. Im Gegenteil, wenn wir das Spiel verlieren, sind wir frustriert oder enttäuscht. Und trotzdem geben wir nicht auf. Wenn wir verlieren, überdenken wir unsere Strategie, arbeiten an unserer Fitness oder suchen andere Verbündete und melden uns selbstverständlich zum nächsten Spiel. Die Kraft, die wir im Spiel entfalten, ähnelt der Kraft derjenigen, die auch bei schweren Schicksalsschlägen resilient bleiben und Freude erfahren.

Mehr Spiel im Leben bringen: den Spielmodus aktivieren

Wo der nicht spielende Mensch Herausforderungen als unwillkommene Probleme aus dem Prozess entfernen will, erlebt der spielende Mensch Freude an der Herausforderung. Da Probleme einen gewissen Stress und schlechte Laune nach sich ziehen, wäre der Spielmodus der schlauere Schachzug. Denn im Spiel lernen wir, mit Rückschlägen umzugehen und machen die Erfahrung, dass Anstrengung und erneute Versuche lohnen.

Es hat also durchaus Vorteile, den Spielmodus auch außerhalb des traditionellen Spieles zu pflegen, damit die Freude uns nicht nur in frustrierenden Meetings hilft, sondern uns auch eine Chance bietet, uns durch schwierige Lebensphasen mit Freude zu begleiten.

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Leonne Boogaarts, Gründerin und Zen-Lehrerin von Zen-Meditation Berlin

Zen-Lehrerin und Gründerin von Zen-Meditation Berlin

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