Was du übst, ist das, was du bist

Ich sitze an meinem Schreibtisch und bereite den nächsten Kursabend vor. Mich inspiriert dabei das folgende Zitat des US-amerikanischen Zen-Meisters John Daido Loori (1931–2009):

„Was du übst, ist das, was du bist: Die Übung und das Ziel der Übung fallen zusammen, Ursache und Wirkung sind eine Realität.“

Ich spüre die Befreiung, die davon ausgeht: Ich kann jetzt alles sein, was ich sein will. Ich muss nur anfangen, es zu üben. Diese Botschaft möchte ich teilen.

Illustration einer mechanischen Kamera-Blende aus Metall. Sie symbolisiert den Fokus in der Zen-Praxis nach John Daido Loori: achtsames Beobachten des Jetzt ohne Selbstkritik, während man sich gleichzeitig auf das gewünschte Selbst ausrichtet.
Für Zen-Meister und Fotograf John Daido Loori war klar: Die Einstellung der Blende bestimmt das Bild. Richte deinen Fokus aktiv auf das, was du üben willst. Der Schlüssel liegt im Jetzt – beobachten statt bewerten.

Stress als Hindernis?

Man kann im Zen viele schöne Sprüche klopfen. Zum Beispiel: „Jeder ist schon erleuchtet“ – ja, auch du, der dies gerade liest. Aber wie erklärt man das Menschen, die sich überhaupt nicht erleuchtet fühlen? Menschen, die sich gerade gestresst oder traurig fühlen? Hilft es, wenn ich sage, dass ihr Irrtum darin liegt, dass sie denken, Erleuchtung vertrage sich nicht mit Stress oder Traurigkeit? Dass gerade der Wunsch, nicht gestresst oder traurig zu sein, sie daran hindert, ihre eigene Erleuchtung zu sehen? 

Ich möchte für die Menschen in meinen Kursen eine gute Zen-Lehrerin sein. Meine Vorstellung davon ist jemand, der es versteht, komplexe Zen-Themen wie „Jeder ist schon erleuchtet“ in alltagstaugliche Empfehlungen zu übersetzen. Frei nach Loori werde ich also eine gute Zen-Lehrerin, indem ich genau das übe: komplexe Themen praktisch und verständlich zu machen. In dem Moment, in dem ich das übe, bin ich bereits jemand, der das kann.

Aktives Gestalten statt passiver Akzeptanz

Stress zu spüren, steht deiner Erleuchtung nicht im Wege. Der Wunsch, weniger Stress zu spüren, übrigens auch nicht. Es ist ein hartnäckiges Missverständnis, dass es im Zen darum geht, den Ist-Zustand passiv zu akzeptieren. Wer viel Stress erfährt, tut gut daran, sich Gedanken darüber zu machen, wie er sein Leben entspannter gestalten kann. 

Im Zen geht es aber darum, nicht an der Lücke zwischen dem „Jetzt“ und deiner „Idealvorstellung“ zu leiden. Du kannst jeden Schritt auf dieser Reise sinnvoll – oder „zenvoll“ – und mit Freude gestalten, auch wenn der Idealzustand vielleicht nie erreicht werden kann. Oder wie Loori es vielleicht sagen würde: Indem du jetzt übst, weniger stressvoll mit deinem Stress umzugehen, bist du in diesem Moment bereits stressfrei.

Schluss mit der Selbstkritik

Zugegeben: Im Moment gelingt es mir sicher noch nicht immer, alle komplexen Zen-Themen verständlich in alltagstaugliche Empfehlungen zu übersetzen. Aber indem ich mich darin übe, werde ich eine gute Zen-Lehrerin sein, die den Teilnehmenden am Ende des Kurses etwas mitgeben kann, was sie echt weiterbringt auf ihrer Reise.

Ich erinnere mich an einen Abend, an dem ein schwieriges Thema zu besprechen war: das Herz-Sutra . Als ich später die Teeschalen abwusch, reflektierte ich über den Abend und war gar nicht zufrieden mit mir selbst. Ich nahm mir vor: „Ab morgen werde ich mehr meditieren, noch aufmerksamer sein und noch mehr über dieses Thema lesen.“ Doch sofort kam mir die Einsicht: Nein. Ich werde morgen gar nichts „besser“ machen. Es geht darum, dass ich jetzt, in diesem Augenblick, diese Teeschalen mit voller Aufmerksamkeit wasche. Das ist der ganze Trick. Der Abend verlief genau so, wie er verlaufen sollte. Natürlich kann ich daraus lernen und das Potenzial nutzen, um weiter in meiner Rolle als Zen-Lehrerin zu wachsen. Aber ohne den Stress der Selbstkritik, sondern einfach, weil es Spaß macht.

Erleuchtung besteht weder darin, sich nach einem Idealzustand zu sehnen, noch in einer passiven Resignation vor dem jetzigen Zustand. Es geht darum, aufmerksam, achtsam und liebevoll deinen Weg zu gehen und in die Vorstellung hineinzuwachsen, wie du sein oder leben willst.


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Leonne Boogaarts, Gründerin und Zen-Lehrerin von Zen-Meditation Berlin

Zen-Lehrerin und Gründerin von Zen-Meditation Berlin

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