Prokrastination bewältigen – Gefühle bewusst wahrnehmen

Schon einige Tage spukt die Aufgabe durch meinen Kopf: Ich muss dringend Rechnungen schreiben. Ich fühle den Druck und der macht mir Stress. Immer kommt der Gedanke auf: „Du solltest jetzt eigentlich …“. 

Es ist mir ein Rätsel, warum ich diesen Papierkram immer wieder vor mich herschiebe. Mir ist bewusst, dass viele Menschen mit solchen Aufgaben hadern, aber das macht es nicht besser. Sie müssen dennoch erledigt werden.

Eine Gruppe von Menschen praktiziert Zen-Meditation auf Kissen an einem Teich in einem grünen Park.
Wer weniger prokrastiniert, hat die Zeit, zusammen mit Freunden in einem schönen Park zu meditieren.

Jetzt ist der perfekte Moment

Gesternvormittag schrieb ich mit Großbuchstaben in meinen Kalender: RECHNUNGEN SCHREIBEN. Ich erledige meine Aufgaben eins nach dem anderen und hake sie ab. Bis nur noch eine Aufgabe offen ist. Plötzlich fühle ich es: einen fast unmerklichen Stich im Magen, der sich als ein übles Gefühl im Halsbereich ausweitet. Und sofort ist da auch der Gedanke: „Das mache ich dann morgen, ist ja schon spät.“

Doch es mischt sich eine andere, durchaus vernünftigere Stimme ein: „Nein, du hast noch einige Stunden bis zum nächsten Termin. Jetzt ist der perfekte Moment, um die Rechnungen zu schreiben.“ Ich fühle mich hin- und hergerissen: Ja, das stimmt, aber ich habe so gar keine Lust. Die klügere Stimme meldet sich wieder: „Das wird morgen nicht anders sein und du kannst es nicht ewig vor dich hinschieben: Jetzt ist der perfekte Moment.“ 

Wie du dem Verstand den Vortritt lässt

In solchen Momenten der Unentschlossenheit nehme ich mein Schreibheft. Ich will aufschreiben, was dagegen spricht, die Aufgabe jetzt zu erledigen. Stattdessen schreibe ich das Gegenteil: Sie wird höchstens eine Stunde dauern und du wirst dich nachher besser fühlen. Ich brauche zwei Sätze, um mein prokrastinierendes Ich in den Hintergrund zu drängen. Eine Stunde später sind alle Rechnungen geschrieben und ich fühle mich pudelwohl: stolz, dass der Verstand sich durchgesetzt hat, und erleichtert, dass die Aufgabe vom Tisch ist. Ich schreibe das in mein Heft, denn ich will nicht vergessen, wie toll es sich anfühlt.

Obwohl wir diese fast unbemerkbaren Gefühle der Unlust oft nicht mal wahrnehmen, beeinflussen sie unser Verhalten. Die gedanklichen Ausreden, die unser Verhalten rational erscheinen lassen, kommen erst im Nachhinein: keine Zeit, es liegt etwas Wichtigeres an, und morgen geht bekanntlich auch noch. Wir sind Meister darin, uns etwas vorzumachen. 

Der Gedanke an irgendwelchen Papierkram, triggert meine Perfektionismusbubble – ich darf nichts falsch machen, das wäre eine Katastrophe. Und da fühle ich schon den leichten Stich im Magen, der die Fluchtenergie aktiviert. Ich flüchte in eine andere Aufgabe, in die Nachrichtenportale oder in die sozialen Medien, während ich noch immer den Druck der unerledigten Aufgabe fühle.

Prokrastination bewältigen mit Zazen und Schreibmeditation

Die Sitzmeditation (Zazen) schärft meine Aufmerksamkeit und sorgt dafür, dass ich diese Prozesse überhaupt wahrnehmen kann. Sie hilft mir außerdem, meine Perfektionismusbubble zu durchschauen, damit sie mein Verhalten nicht dominiert. So schafft die Meditation einen Raum zwischen dem Trigger, dem Gedanken an Rechnungenschreiben, und meinem Verhalten, der Prokrastination. In diesem Raum hat mein vernünftigeres Ich eine Chance, gehört zu werden. Meine Gewohnheit, in solchen Fällen zu meinem Schreibheft zu greifen, um die innerliche Auseinandersetzung in Worten zu fassen (ich nenne es Schreibmeditation), verstärkt diesen Prozess und führt zu besseren Entscheidungen.

Die Gefühle ernst nehmen

Das heißt übrigens nicht, dass wir unseren Gefühlen nie den Vorrang lassen sollten. Es gibt durchaus Gefühle, die zu richtigen Entscheidungen führen, nur meine Abneigung gegen Papierkram gehört eben nicht dazu. Auch die Prokrastination selbst triggert ein Gefühl. Nämlich das Gefühl, meine Zeit zu verschwenden und wichtige Aufgaben liegen zu lassen. Dieses Gefühl ernst zu nehmen und den Weg zu einem besseren Verhalten zu finden, führt unmittelbar zu den tollen Gefühlen des Stolzes und der Erleichterung, die ich gestern fühlte, und letztendlich zu einem nachhaltigeren Wohlbefinden mit weniger Druck und Stress.

Was bei mir der Papierkram ist, ist bei andern die Flucht vor schwierigen, jedoch wichtigen Gesprächen, denen man immer wieder aus dem Weg geht, oder tiefgreifenden Entscheidungen mit weitreichenden Folgen, die zu treffen sind. So hat jeder seine eigenen Bubbles und die daraus resultierenden suboptimalen Verhaltensweisen.

Zen ist in diesem Sinne die Kunst, seine Gefühle genau wahrzunehmen, auch wenn sie noch so unauffällig sind, und auf Basis seiner Wahrnehmungen das Richtige zu tun. So schafft die Zen-Praxis die Voraussetzung für ein ausgeglichenes und stressfreies Leben.

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Leonne Boogaarts, Gründerin und Zen-Lehrerin von Zen-Meditation Berlin

Zen-Lehrerin und Gründerin von Zen-Meditation Berlin

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