Mein innerer Dialog – Wer spricht da?

Nach einem langen Spaziergang durch den Grunewald erreiche ich den Grunewaldsee. Es sind viele Menschen mit ihren Hunden unterwegs. Zwei Hunde geraten aneinander und knurren sich an. Von Weitem sehe ich einen der Hundebesitzer zur Stelle rennen. Er schreit die junge Besitzerin des anderen Hundes an. Er fragt, ob sie denn versichert sei, und droht damit, jetzt die Polizei zu rufen. Ich spaziere weiter. Nach dem langen Spaziergang freue ich mich darauf, endlich mein Ziel zu erreichen. Später im Bus nach Hause ärgere ich mich. Ich hätte nicht einfach weitergehen sollen. Ich war doch Zeuge, wie der Hund des aggressiven Mannes völlig unbeaufsichtigt war und der Hund der Frau brav neben ihr lief, bevor sie aneinander gerieten. Ich hätte ihr meine Hilfe anbieten sollen. Fehlte mir der Mut? Ich nehme mir vor, das nächste Mal vielleicht nicht direkt einzuschreiten, aber auf jeden Fall stehenzubleiben und mir die Sache anzuschauen.

Wer kennt sie nicht, diese inneren Dialoge, in denen man sein Verhalten reflektiert. Hast du dich schon mal gefragt, wer da überhaupt zu Wort kommt? Wer war dieser Teil von mir, der sich entschlossen hatte, weiter zu spazieren, als ginge ihm die Sache nichts an? Und wer kritisiert ihn jetzt dafür? Es melden sich deutlich zwei Stimmen zu Wort, und in anderen Fällen kann ich noch mehr erkennen. Während ich darüber nachdenke, kommt mir eine Metapher in den Sinn: ein Bus voller Ichs.

Ich bin ein Bus voller Ichs. Wer sitzt am Steuer?

Ein Bus voller Ichs

Die Kraft dieser Metapher ist, dass sie neue Perspektiven eröffnet. Die Bus-Metapher lädt uns ein, anders auf unsere Entscheidungen zu schauen. Wenn ich mich als einen Bus voller Ichs betrachte, in dem pausenlos über meine Entscheidungen diskutiert wird, verstehe ich, warum ich mich manchmal mit Entscheidungen schwertue und warum ich sie so treffe, wie ich sie treffe. 

Vor allem nach Entscheidungen gibt es in der anschließenden Reflexion viele Vorwürfe und schonungslose Urteile: „Das hast du alles ganz falsch gemacht.“ Aber das ist noch nichts im Vergleich zu den regen Diskussionen, die vor Entscheidungen geführt werden. Da scheinen alle durcheinander zu quasseln und lähmen so meine Entscheidungskraft. Ich erkenne mein mutiges Ich, das sagt: „Mach es einfach!“ Da meldet sich auch das besorgte Ich, das mir die Konsequenzen auflistet, wenn es nicht gut ausgeht. Ein relativierendes Ich wirft ein, die ganze Diskussion sei doch sinnlos, man weiß ohnehin nicht, was alles passieren kann. Ein ungeduldiges Ich fordert, es solle jetzt doch wirklich eine Entscheidung getroffen werden. Je aufmerksamer ich in den Bus hineinhorche, desto mehr Ichs erkenne ich, auch diejenigen, die sich selten melden, aber interessante Ansichten haben. Die Bus-Metapher schafft Ordnung, weil alle darin Platz haben und besser zu erkennen sind. Das ist schon mal eine Verbesserung gegenüber der Kakofonie an unbestimmbaren Stimmen im Kopf. Eine interessante Frage ist natürlich, wer denn am Steuer sitzt.

Wer sitzt denn am Steuer?

Welches Ich trifft letztendlich die Entscheidung? Als ich voriges Jahr einen Raum für Zen-Meditation Berlin  suchte, besichtigte ich einen geeigneten Raum, der jedoch noch renoviert werden musste. Auf dem Heimweg war mein unsicheres Ich prominent anwesend: „Da muss wirklich viel gemacht werden. Wo bekommst du denn die Handwerker her?“ Obwohl ich noch nicht mal einen Malerbetrieb kontaktiert hatte, wusste mein unsicheres Ich schon, dass kein Maler gefunden werden würde, da ja Fachkräftemangel herrschte. Als ich mich dann doch beim Makler meldete, war der Raum schon vergeben. Das würde mir nicht noch einmal passieren, versicherte mir mein durchgreifendes Ich, das sofort das Steuer übernahm. Die nächste Besichtigung fühlte sich ganz anders an. Sofort danach schrieb ich dem Makler, ich wollte den Raum haben. Mein unsicheres Ich wollte sich mit verunsichernden Fragen Gehör verschaffen: „Hast du dir das Licht angeschaut?“ Mein durchgreifendes Ich entgegnete: „Ist das denn so wichtig für die Entscheidung? Wenn das Licht nicht gut ist, dann kaufst du dir eine Lampe.“ Das durchgreifende Ich war deutlich am Steuer und ließ sich von dort nicht vertreiben, es musste schließlich auch mal vorangehen. Ein zweiter Vorteil an der Bus-Metapher ist, dass man deutlich sieht, wer wann am Steuer sitzt. Und wenn man sich dessen bewusst ist, kann man in vielen Fällen auch entscheiden, wer denn am Steuer soll. Dafür sollte man jedoch wissen, wohin die Reise geht.

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Wohin soll die Reise denn gehen?

Wohin soll es denn für dich gehen? Was ist dein Reiseziel? Ich weiß, auch hier besteht keine Einigkeit, und die Gefahr besteht, dass man sich im Kreis bewegt und vor lauter mitmischenden Passagieren nicht vorankommt. Statt bei jeder einzelnen Entscheidung immer wieder innere Konferenzen abzuhalten, sollte man lieber einige wenige über seine Zielsetzungen führen. Die Entscheidungen, die daraufhin zu treffen sind, erfolgen dann logisch aus diesen Zielen und fordern viel weniger Zeit und Energie. Vielleicht sind die Ziele anfangs noch nicht konkret, aber jeder hat eine Ahnung von der Richtung, die er sich für sein Leben wünscht. Nach einiger Zeit können immer konkretere Ziele gesetzt werden. Wer seine Ziele kennt, weiß auch besser, welches Ich man am besten am Steuer sitzen lassen sollte.

Wechselnde Fahrer

In meinen Zenkursen sitzt ein aktives Ich am Steuer. Ich bestimme die Themen, die Art und Weise, auf die sie behandelt werden, und wann wir anfangen, zu meditieren. Wenn ich aber mit meinen Freundinnen und Freunden unterwegs bin, sitzt meistens ein passives Ich am Steuer. Manchen ist es sehr wichtig, was wir genau machen, in welches Restaurant wir gehen, wie wir wieder nach Hause kommen. Ich lehne mich zurück und warte ab, was beschlossen wird, denn ich genieße ohnehin das Zusammensein, egal was und wo wir das machen. An einem entspannenden Abend kann man ruhig mal ein passives Ich am Steuer lassen.

Eine minimalistische Sumi-e-Tuschezeichnung eines kleinen Vogels im japanischen Stil. Das Bild verwendet ausdrucksstarke schwarze Pinselstriche auf weißem Papier und konzentriert sich auf die wesentliche Form, Bewegung und den negativen Raum, um eine ruhige und elegante Zen-Ästhetik zu erzeugen.

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Mehr als nur ein Bus

Metaphern helfen grundsätzlich dabei, die Perspektive zu erweitern und Dinge zu sehen, die sonst im Verborgenen bleiben. So hat die Bus-Metapher mir geholfen, meine Entscheidungsprozesse besser zu verstehen und sie so zu gestalten, dass sie meinen Zielen gerecht werden. Auch die Meditation hilft mir dabei, denn sie sorgt dafür, dass alle Passagiere auch mal still sind, und man sich wirklich mal in aller Ruhe den ganzen Bus und sein Umfeld anschauen kann, ohne dass sich meine Ichs einmischen. Man sollte sich jedoch dessen bewusst sein, dass eine Metapher nicht nur Dinge verdeutlicht, sondern auch andere Aspekte verbergen kann. Deshalb ist es gut, verschiedene Metaphern zur Verfügung zu haben und – was noch wichtiger ist – auch während der Meditation ganz ohne Konzepte und Metaphern in sich hineinschauen zu können.

Möchtest du lernen, bewusster wahrzunehmen, wer in deinem inneren Bus sitzt und das Steuer öfter selbst in die Hand zu nehmen? In meinen Zenkursen üben wir genau das. Am Donnerstag, dem 29.Mai, um 19:15 Uhr gibt es wieder eine Probestunde. Hier geht es zur Anmeldung.

Porträt von Leonne Boogaarts, Zenlehrerin und Gründerin von Zen-Meditation Berlin, mit lockigem, schulterlangem braunen Haar, schwarzem Oberteil und hellem Hintergrund.

Zen-Lehrerin und Gründerin von Zen-Meditation Berlin

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