Das Geheimnis nachhaltigen Glücks

„Famiglia Boogaarts! Dai, venite fuori! Venite con noi!“ – Wir haben uns gerade erst in unserem Wohnwagen schlafen gelegt, als uns eine Stimme weckt. „Come here, come with us, famiglia Boogaarts!“, ertönt der Ruf erneut – dieses Mal in einer Sprache, die wir besser verstehen. Vor unserem Wagen stehen ein Mann mit Gitarre und etwa zwanzig italienische Campinggäste. Sie wollen zum Strand und laden uns ein, mitzukommen. Wenige Minuten später sitze ich, noch immer etwas schlaftrunken, mit meinen inzwischen verstorbenen Eltern und den anderen Campinggästen im Sand. Ich beobachte die Sternschnuppen, und während eine Flasche Grappa die Runde macht, lausche ich dem Gitarristen, der italienische Lieder singt. In dieser Nacht entsteht eine der glücklichsten Erinnerungen meines Lebens, an die ich bis heute gerne zurückdenke.

Eine stimmungsvolle Cartoon-Illustration einer diversen Gruppe von Freunden, die nachts um ein knisterndes Lagerfeuer am Strand sitzt. Ein Mann spielt Gitarre, während die anderen lächelnd zuhören, unter einem weiten Sternenhimmel mit einer großen Sternschnuppe.
Schöne Jugenderinnerungen können späterem Glück im Wege stehen

Die vergebliche Suche nach dem alten Glück

Ich muss gestehen: In den Jahren danach habe ich oft versucht, diesen Moment zurückzuholen. „Lass uns doch noch ein wenig zum Strand gehen“, schlug ich meinem Mann während unserer gemeinsamen Strandurlaube immer wieder vor. Aber meistens fanden wir den Strand verlassen vor. Und wenn doch andere dort feierten, luden sie uns nicht ein. Statt diese Strandabende zu genießen, maß ich sie an jener einen Nacht. Doch keiner konnte diesem Vergleich standhalten.

Wir suchen unser Glück meist in äußeren Umständen, die wir nicht kontrollieren können. Trotzdem versuchen wir immer wieder, diese zu erzwingen. Wenn es uns schlecht geht, greifen wir auf Rezepte zurück, die in der Vergangenheit funktioniert haben: ein Urlaub, ein gutes Essen, ein schöner Abend mit Freunden. Wir hoffen auf die gleiche Wirkung wie damals. Doch oft bleibt das ersehnte Gefühl aus. Und auch wenn es gelingt, gewöhnen wir uns schnell an den Genuss. Um den gleichen Glückseffekt zu erzielen, muss der nächste Urlaub noch exotischer, der Freundeskreis noch interessanter und das Essen noch exquisiter sein. Wir jagen einer Steigerung hinterher, die uns am Ende doch nicht befriedigt.

Ein radikal anderer Weg: nachhaltiges Glück

Mein Lehrer und Zen-Meister Rients Ritskes zeigt in seinem Buch „Lerne zu denken, was du denken willst“ einen anderen Weg auf. Er stellt den Menschen, die im Außen suchen, sein Konzept des „nachhaltigen Glücks“ vor – ein Glück, das nicht von Umständen abhängig ist. Seine Philosophie lässt sich in einer Formel zusammenfassen:

Nachhaltiges Glück ist das Spiegelbild deiner Fähigkeit, Leiden zu tolerieren.

Das Glückstraining auf dem Kissen und im Fitnessstudio

So widersprüchlich dieses Konzept auch klingen mag, es hat einen entscheidenden Vorteil: Nachhaltiges Glück lässt sich üben – zum Beispiel mit Zen. Wenn wir beim Zazen für eine festgelegte Zeit in einer oft unbequemen Haltung sitzen, üben wir genau dieses Tolerieren. Die Beine protestieren gegen das Stillsitzen, Langeweile kommt auf, unangenehme Erinnerungen drängen ins Bewusstsein. Wir bleiben jedoch sitzen, wir halten aus, wir tolerieren … und stärken so unsere Fähigkeit zum nachhaltigen Glück.

Zwar ist das Zen-Training direkt auf nachhaltiges Glück ausgerichtet – manche nennen es Erleuchtung –, während es im Sport eher um Kraft und Kondition geht. Doch das Prinzip, Leiden zu tolerieren, ist dasselbe. Genau wie wir auf dem Kissen, müssen auch Sportler ihren inneren Schweinehund überwinden. Sie raffen sich trotz Müdigkeit auf und tauschen das bequeme Sofa gegen die Laufstrecke oder das Fitnessstudio. Auch wenn ihnen der tiefere Zusammenhang vielleicht gar nicht bewusst ist, spüren sie intuitiv, dass genau diese Anstrengung der Schlüssel zu ihrem Glück ist. Tatsächlich habe ich meine tiefsten und glücklichsten Momente in einem Sesshin erlebt – einem intensiven Zen-Training mit vielen Stunden täglicher Meditation, Schweigen, frühem Aufstehen und keiner anderen Ablenkung als den Vögeln im Wald.


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Leonne Boogaarts, Gründerin und Zen-Lehrerin von Zen-Meditation Berlin

Zen-Lehrerin und Gründerin von Zen-Meditation Berlin

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