Die niederländische Anwältin Manon de Jonge macht die Ausbildung zur Zen-Lehrerin bei Zen.nl. In diesem Artikel beschreibt sie, wie die Zen-Praxis ihre Arbeit als Anwältin verändert hat. Der Artikel wurde aus dem Niederländischen übersetzt und erschien zuerst auf Zen.nl.
Ehrgeizig
Vor fast 20 Jahren wurde ich als Rechtsanwältin vereidigt. Ich hatte gerade mein Jurastudium abgeschlossen und war jung, naiv und idealistisch. Trotz meiner Unsicherheit und Schüchternheit war ich fest entschlossen, eine gute Anwältin zu werden. Die Menschen, die mich kannten, bezweifelten, dass dieser Beruf etwas für mich sei. Aber ich wollte ihnen beweisen, dass ich das Zeug dazu habe. Die ersten spannenden Jahre als Anwältin habe ich genossen. Wie ein Schwamm saugte ich alle Informationen auf, die ich von meinen Kolleginnen und Kollegen in der Kanzlei bekam. Schnell merkte ich, dass die Arbeit auch im Personen- und Familienrecht viel sachlicher und härter ist, als ich erwartet hatte. Das fiel mir anfangs schwer, aber ich habe mich daran gewöhnt. Ich kopierte das Verhalten meiner Kolleginnen und Kollegen und hinterfragte es nicht.
Im Laufe meines Zen-Trainings merkte ich, dass ich mit meiner Arbeit als Anwältin anders umging. Seitdem interessiere ich mich mehr für die zugrundeliegenden (juristisch nicht relevanten) Motive meiner Mandanten
- mehr Ruhe
- weniger Stress
- besser schlafen
- besser fühlen
- mehr Konzentration
- besser zuhören
- weniger störende Emotionen
- mehr Energie
Tun, was der Mandant will
Meine Naivität war schnell verflogen und damit auch mein Idealismus. Am Anfang fragte ich noch, ob es richtig sei, mich so zu verändern, aber ich ignorierte meine Zweifel. Wenn ich eine gute Anwältin werden wollte, gehörte das einfach dazu. Laut Standesregeln stehen die Interessen des Mandanten immer an erster Stelle. Und das ist gut so, auch wenn man sich fragen kann, wie man die Interessen seines Mandanten am besten vertritt. Aber diese Frage stellte ich mir nicht, denn ich hatte gelernt, einfach das zu tun, was die Mandanten wollten. Sie bekamen den anwaltlichen Beistand, den sie sich wünschten. Dafür beauftragten und bezahlten sie mich schließlich. Wenn das bedeutete, dass ich eine Position vertreten musste, die ich für unvernünftig hielt, dann tat ich es trotzdem. Meine Mandanten und ich mussten ja nicht einer Meinung sein. Wenn zum Beispiel eine Mandantin sagte: „Mein Ex hat mich betrogen, ich will, dass er die Kinder nicht mehr sieht, weil ich ihn nicht mehr sehen will“, dann versuchte ich, genau das für sie vor Gericht zu erreichen. Für mich funktionierte das: Die Mandanten waren zufrieden und ich machte gute Umsätze. Ich dachte: Seht her, ich habe das Zeug dazu.
Was hilft den Mandanten wirklich?
Vor vier Jahren besuchte ich meinen ersten Zen-Meditationskurs und hatte das Gefühl, heimgekommen zu sein. Ich besuchte weitere Kurse und begann die Ausbildung zur Zen-Lehrerin. Einer der ersten Kommentare meines Zen-Coaches Yvonne Visser war: „Oh, ein Anwaltsgehirn, das wird schwierig“. Sie bezog sich damit auf die dualistische Sichtweise und das Schwarz-Weiß-Denken mancher Anwälte. Ganz unrecht hatte sie damit nicht. Als Juristen sind wir zwar immer auf der Suche nach Grauzonen, Ausnahmen und Schlupflöchern. Aber wenn wir sie gefunden haben, lassen wir uns nur schwer von der gewählten Strategie abbringen. Es ist unsere Aufgabe zu beweisen, dass unsere Mandanten recht haben und für sie zu gewinnen. Das ist natürlich nicht sehr Zen. Im Zen geht es nicht darum, gewinnen zu wollen, und auch nicht darum, recht zu haben. Es geht um Dialog und Einheit, um das, was für alle Beteiligten am besten ist. Es geht darum, zu spüren, was im Hier und Jetzt die richtige Antwort ist, und danach zu handeln oder eben nicht zu handeln.
Im Laufe meines Zen-Trainings merkte ich, dass ich mit meiner Arbeit als Anwältin anders umging. Seitdem interessiere ich mich mehr für die zugrundeliegenden (juristisch nicht relevanten) Motive meiner und frage mich: Was würde diesem Mandanten wirklich helfen?
Die richtige Antwort
Eine Mandantin erzählte mir, dass sie große Angst vor ihrem Ehemann habe und sich scheiden lassen wolle. Er habe sie schrecklich behandelt und missbraucht. Meine Mandantin wusste nicht genau, wie die Umgangsregelung zwischen ihrem Mann und ihrer zweijährigen Tochter aussehen sollte. Sie wirkte ängstlich und nervös, meinte aber auch, dass sie ihre Tochter alle zwei Wochen selbst zu ihrem Ehemann bringen könne und die Tochter dann einen Tag oder das ganze Wochenende bei ihm bleiben könne. Auf meine Frage, ob sie sich dabei sicher fühle, gab sie unterschiedliche Antworten. Ich bemerkte, dass sie widersprüchliche Signale gab, sowohl verbal als auch nonverbal. Früher wäre mir das wahrscheinlich nicht aufgefallen und ich hätte gedacht, dass meine Mandantin es zu schätzen wüsste, wenn ich ihr sagen würde, dass eine Besuchsregelung für sie möglicherweise nicht sicher genug sei und wir versuchen könnten, keinen oder einen begleiteten Umgang zu erreichen. Ich hatte jedoch den Eindruck, dass alle Beteiligten und vor allem die zweijährige Tochter etwas anderes brauchten. Ich hatte das Bedürfnis, mit ihrem Ehemann zu sprechen, um noch besser zu verstehen, was in dieser Situation die beste Lösung ist.
Ich schlug vor, ihren Ehemann anzurufen, um zu sehen, ob wir gemeinsam einen Sorgerechtsplan erarbeiten könnten. Dann könnten wir auf ein Gerichtsverfahren verzichten. Meine Mandantin reagierte positiv auf meinen Vorschlag und ich durfte ihn anrufen. Bei diesem Telefonat ergab sich ein ganz anderes Bild. Ihr Mann wirkte ängstlich, machte sich große Sorgen, vor allem darüber, seine Tochter nicht mehr sehen zu können, und war froh über meinen Anruf. Er war sehr an einer einvernehmlichen Lösung interessiert und innerhalb einer Woche war der Sorgerechtsplan von beiden Eltern unterschrieben.
Hätte ich gehandelt wie bisher, wäre es zu einem oder mehreren Gerichtsverfahren gekommen, an denen ich wahrscheinlich gut verdient hätte. Jetzt ist allen Beteiligten ein jahrelanger Rechtsstreit erspart geblieben. Später schrieb meine Mandantin mir, dass sie sehr glücklich über das Ergebnis sei und auch sehr froh darüber, dass es nicht zu einer Kampfscheidung gekommen ist. Sie dankte mir für die Art und Weise, wie ich den Fall gelöst hatte und für meine Hilfe.
Tun, was die Situation verlangt
Inzwischen arbeite ich so viel wie möglich auf diese Weise. Wenn es nötig ist, führe ich auch Prozesse, aber wenn es mir gelingt, eine einvernehmliche Lösung mit einem guten Ergebnis für meinen Mandanten zu erzielen, bin ich viel zufriedener. Manchmal höre ich noch eine kleine Stimme in meinem Kopf: „Bin ich durch die Zen-Meditation nicht zu weich geworden? Passt das zu einer Anwältin?“ Meine Unsicherheit, von anderen nicht als richtige Anwältin wahrgenommen zu werden, ist natürlich nicht ganz verschwunden. Der Unterschied ist nur, dass ich meine Unsicherheit jetzt wahrnehme und spüre, mich aber nicht mehr von ihr leiten lasse. Ich kann heute mit bestem Gewissen sagen, dass Zen und der Anwaltsberuf sehr gut zusammenpassen, besonders im Personen- und Familienrecht. Es bereichert meine Arbeit und meine Mandanten sind besser bedient und zufriedener.
Manon de Jonge
Rechtsanwältin und Zen-Lehrerin bei Zen.nl
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