Alles, was jetzt passiert, ist meine Verantwortung

Stell dir vor, du hast ein Bewerbungsgespräch in einer anderen Stadt. Du stehst auf dem Bahnsteig und siehst auf der Anzeigetafel, dass der Zug verspätet ist. Das macht aber nichts, denn du hast extra Zeit eingeplant und dich vorgenommen, einen früheren Zug zu nehmen. Während du wartest, wird die Verspätung immer größer und nach einer Weile wird auf der Anzeigetafel angekündigt, dass der Zugverkehr an diesem Tag ganz ausfällt. Dir wird klar, du kommst heute nicht mehr zum Bewerbungsgespräch.

Deine Verantwortung?

Bist du verantwortlich für diese Situation? Das würden die meisten wohl bestreiten. Du hast keinen Einfluss darauf, dass die Züge heute nicht fahren. Du hast dir sogar vorgenommen, einen Zug früher zu nehmen. Wer die Frage der Verantwortung als eine Schuldfrage betrachtet, verengt seine Perspektive jedoch erheblich. Außer dem Ausfall des Zugverkehrs geschah noch so einiges, das zur Situation beigetragen hat: Du hast einen Bewerbungsbrief geschrieben, der wohl so gut war, dass du zu einem Gespräch eingeladen wurdest. Du hast zugesagt, an diesem Tag zum Gespräch zu kommen. Auch deine Entscheidungen haben zur Situation beigetragen. Und was vielleicht noch wichtiger ist: Wer die eigene Beteiligung an der Situation erkennt, erkennt auch die Verantwortung für die eigene Reaktion darauf.

Eine malerische Holzbrücke spannt sich über einen klaren, blauen Fluss, der durch einen lebendigen Wald fließt.
Verantwortung: die Brücke zwischen dir und deinen Mitmenschen

Verantwortung ist keine Schuld

Wer Verantwortung auf die reine Schuldfrage reduziert, wird Situationen eher als etwas betrachten, das einem bloß zustößt, statt die eigene aktive Rolle darin zu erkennen. Der Schuldige hat die Situation verursacht, soll er oder sie das Problem doch auch lösen. Je mehr du dazu neigst, das, was dir widerfährt, aus der Perspektive der Schuld zu betrachten, desto fremdbestimmter fühlt sich dein Leben wohl an. Es fördert ein Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit. Das Gefühl, keine Kontrolle über wichtige Lebensbereiche zu haben, ist ein bekannter Stressfaktor. Es kann zu einem geringeren Selbstwertgefühl, Unzufriedenheit und Frustration führen. Die Folgen können Schwierigkeiten bei der Entscheidungsfindung, ein Gefühl der Sinnlosigkeit, reduzierte Motivation und Passivität sein, was die ganze Abwärtsspirale weiter verstärkt. Ein Teufelskreis.

Aus dieser Situation heraus mag es sich zunächst befremdlich und ungewohnt anfühlen, wieder Verantwortung für das eigene Erleben zu übernehmen. Doch es ist der einzige Weg aus der Fremdbestimmtheit.

Ein Ausflug mit der Schwiegerfamilie

Wenn ich mit meinem Mann seine Heimatinsel Curacao besuche, ist seine Familie gerne bereit, mir die Insel zu zeigen. Am Wochenende holen seine Geschwister uns ab und wir fahren dann in einem stark klimatisierten Wagen entlang der Sehenswürdigkeiten. Ich habe schon viele dieser Touren gemacht und offen gestanden würde ich lieber am Strand liegen, in einer Strandbar etwas trinken und die Sonne beim Untergehen zuschauen. Dieses Spazierenfahren ist jedoch eine beliebte Beschäftigung meiner Schwiegerfamilie, und ich möchte nicht herummeckern.

Szenenwechsel: Ostwestfalen, wo ich zusammen mit meiner Familie einige Jahre wohnte. Mein Bruder und ich besuchen die Orte unserer Kindheit. Mit dabei meinem Mann, meiner Schwägerin und meinen Neffen und Nichten. Wir fahren entlang unseres alten Wohnhauses, unserer alten Schule und der Neffe will das Krankenhaus sehen, wo er geboren ist. Mein Mann hat keine Lust mehr, so viel herumzufahren, und lässt mich das wissen. Ich möchte ihm vorwerfen, dass ich auch nicht herummeckere, wenn ich mit seiner Familie spazieren fahre.

Eine minimalistische Sumi-e-Tuschezeichnung eines kleinen Vogels im japanischen Stil. Das Bild verwendet ausdrucksstarke schwarze Pinselstriche auf weißem Papier und konzentriert sich auf die wesentliche Form, Bewegung und den negativen Raum, um eine ruhige und elegante Zen-Ästhetik zu erzeugen.

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Dann denke ich: Alles, was jetzt passiert, ist meine Verantwortung. Ich denke über meine Optionen nach, zum Beispiel, die Sache zu ignorieren. Aber dadurch wird die Stimmung nicht besser. Ich beschließe, meinen Bruder zu bitten, meinen Mann im Hotel abzusetzen. Das ist kein Problem und ein wenig später fahren wir ohne ihn weiter. Als wir vor dem Abendessen in der Nähe des Hotels noch etwas trinken, gesellt er sich wieder zu uns und wir haben einen netten Abend. Natürlich erinnere ich ihn später daran, dass die Spazierfahrten auf Curacao mich auch nicht besonders interessieren, und er gesteht, dass es ihm genau so geht. Das nächste Mal werden wir Alternativen vorschlagen.

Zugegeben, es handelt sich nicht um ein weltbewegendes Beispiel, aber mehr braucht es nicht, um sich darin zu üben, bewusst die Verantwortung für sich, seine Mitmenschen und die Umgebung zu übernehmen, sich seine Optionen klarzuwerden und die beste zu wählen. Gerade diese scheinbar bedeutungslosen Situationen eignen sich wunderbar, um sich darin zu üben.

Die beste Antwort

Der Begriff Verantwortung enthält das Wort Antwort. Verantwortung zu nehmen bedeutet für mich, in jeder Situation, in der ich mich befinde, die bestmögliche Antwort zu finden. Dazu muss man die Situation erst mal annehmen, wie sie ist. Man kann Situationen ablehnen und warten, bis der vermeintliche Schuldige eine Lösung anbietet. Wenn die Bahn jedoch schon angekündigt hat, dass heute kein Zugverkehr mehr stattfindet, wird sie dir heute wohl keine Lösung anbieten können. Hier musst du jetzt selbst die beste Antwort finden.

In den Kursen von Zen-Meditation Berlin behandeln wir regelmäßig Themen, die uns dabei helfen, in jeder Situation die beste Antwort zu finden. Während der Meditation üben wir zum Beispiel, die Situation, samt unseren Gedanken und Gefühlen, anzunehmen, ohne sie zu bewerten. Auf diese Weise lernen wir, unbefangen auf Situationen zu reagieren und das Beste daraus zu machen.

Die Übung, zu der ich dich einladen möchte, ist, in der kommenden Zeit in verschiedenen Situationen den Satz zu denken: Alles, was jetzt passiert, ist meine Verantwortung. Dann wird es für dich immer natürlicher werden, deine beste Antwort für jede Situation zu finden, diese anzuwenden und dein Leben noch selbstbestimmter zu gestalten.

Willst du mal ausprobieren, ob die Zen-Meditation auch dir helfen kann, besser mit den Herausforderungen des Lebens umzugehen? Melde dich dann für eine Probestunde an.

Porträt von Leonne Boogaarts, Zenlehrerin und Gründerin von Zen-Meditation Berlin, mit lockigem, schulterlangem braunen Haar, schwarzem Oberteil und hellem Hintergrund.

Zen-Lehrerin und Gründerin von Zen-Meditation Berlin

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