In Zeiten von Fake News gewinnt die Frage „Was ist Wahrheit?“ zunehmend an Bedeutung. Sie ist von zentraler Wichtigkeit, denn die Wahrheit zu erkennen schenkt sowohl Ruhe als auch Einsicht – ähnlich wie das Meditieren.
Dieser Artikel von Zen-Meister Rients Ran Zen ist eine Übersetzung aus dem Niederländischen und wurde ursprünglich im Blog Zenactueel von Zen.nl veröffentlicht.
Die Suche nach der Wahrheit
Seit Jahrhunderten suchen Philosophen nach der Wahrheit, doch gefunden haben sie sie nicht. Schon Sokrates stellte die Idee einer absoluten Wahrheit infrage und führte Debatten, die bis heute nachhallen. Laien hingegen beschäftigen sich weniger intensiv mit der Wahrheit, gehen aber oft davon aus, dass sie existieren muss.
Im Diamant-Sutra sagt Buddha über die Wahrheit: „Wir nennen sie nur so.“ Zen-Meister greifen einfach zur Teetasse, wenn man sie danach fragt.
In Zeiten zahlreicher Fake News gewinnt die Frage „Was ist Wahrheit?“ jedoch wieder an Bedeutung. Sie bleibt zentral, denn die Wahrheit zu erkennen, schenkt Ruhe und Einsicht – ähnlich wie das Meditieren.
Alltägliche Wahrheiten
Betrachten wir zunächst, was häufig als Wahrheit bezeichnet wird: Ideen und Aussagen, über die allgemein Einigkeit besteht. Ein Beispiel dafür ist: „Die Sonne geht jeden Tag auf.“ Doch wir wissen inzwischen, dass die Sonne nicht wirklich aufgeht, sondern dass sich die Erde dreht, sodass „die Sonne jeden Tag aufzugehen scheint“. Selbst diese weithin akzeptierte „Wahrheit“ wird von der Wissenschaft entlarvt: Die Existenz der Erde ist nur vorübergehend. Sie mag Millionen Jahre andauern, aber eines Tages wird sie enden, und mit ihr das tägliche „Aufgehen“ der Sonne. Zudem gibt es Orte wie den Nordpol, wo die Sonne im Winter tagelang nicht aufgeht. „Die Sonne geht jeden Tag auf“ ist also weder überall noch immer wahr.
Ein weiteres Beispiel für die Relativität vermeintlicher Wahrheiten ist die Aussage: „Wasser kocht bei 100 Grad Celsius.“ Das stimmt – allerdings nur auf Meereshöhe. In den Bergen, wo der Luftdruck niedriger ist, kocht Wasser bereits bei deutlich niedrigeren Temperaturen. Diese sogenannten Wahrheiten erweisen sich unter anderen Umständen schnell als nicht mehr gültig.
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Buddha und die Wahrheit
Es gibt unzählige Beispiele, die zeigen, dass es keine Aussagen über die Wirklichkeit gibt, die immer und überall gültig sind und von allen gleichermaßen akzeptiert werden. Besonders der Aspekt, wie die Dinge wahrgenommen werden, spielt hierbei eine zentrale Rolle.
Nehmen wir die Aussage, dass Neil Armstrong der erste Mensch auf dem Mond war. Nicht jeder glaubt daran. Es gibt viele Menschen, die überzeugt sind, dass die Apollo-Mission ein geschickt inszenierter Mediengag der USA war. Ebenso gibt es immer noch Menschen, die glauben, dass die Erde in sechs Tagen erschaffen wurde. Es wäre jedoch falsch, diese Menschen als leichtgläubig abzutun. Sie nehmen die Realität schlicht anders wahr.
Die Wahrheit ist also „nur“ eine Übereinkunft innerhalb einer bestimmten Gruppe von Menschen, wie etwas benannt oder gesehen wird. Diese Auffassung spiegelt sich auch in der etwa 2500 Jahre alten Lehre des Buddhas wider, die im unter Zen-Buddhisten geschätzten Diamant-Sutra festgehalten ist. Darin wird deutlich, dass es unmöglich ist, die Wahrheit endgültig zu erkennen. Buddha sagt: „Wir nennen sie nur so.“ Worte können die wahre, komplexe und sich ständig verändernde Natur der Realität niemals vollständig erfassen.
Die Kirche und die Wahrheit
Wenn ich Vorträge zu diesem Thema halte, bemerke ich, dass viele Menschen – auch gebildete – weiterhin fest daran glauben, dass es eine absolute Wahrheit geben muss. Sie sind überzeugt, dass Naturgesetze existieren, die immer und überall gültig sind. Die meisten lassen sich jedoch schnell davon überzeugen, dass dies weder der Fall ist noch sein kann.
Warum also dieser tief verwurzelte Glaube, dass es eine universelle Wahrheit geben sollte? Dieser Glaube ist ein Relikt unserer westlichen Kultur, in der die Kirche eine entscheidende Rolle gespielt hat. Über Jahrhunderte hat die Kirche erfolgreich vermittelt, dass sie die Wahrheit kenne – eine Wahrheit, die untrennbar mit der Wahrheit Gottes verbunden sei.
Wer heute das Wort „Wahrheit“ googelt, wird feststellen, dass viele christliche Texte in den oberen Suchergebnissen erscheinen. Das ist wenig überraschend, denn die Kirche dominierte im Westen lange Zeit, gestützt auf die Idee, dass sie die Wahrheit besitze und den Weg in den Himmel garantieren könne.
Und obwohl die Philosophie eine Zeit lang versucht hat, sich von der Vorstellung einer absoluten Wahrheit zu lösen, wurde sie über die Jahrhunderte stark von den Ansichten der Kirche geprägt. Viele Menschen orientieren sich unbewusst immer noch an diesen Ideen.
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Wissenschaft und Wahrheit
Dass wir weiterhin an die Wahrheit glauben, liegt auch daran, dass die Wissenschaft die Position der Kirche in vielerlei Hinsicht übernommen hat. Oft wird sie als die Religion unserer Zeit bezeichnet. Wissenschaftler tun ihr Bestes, um uns davon zu überzeugen, dass sie nun diejenigen sind, die die Wahrheit kennen und uns mit dieser Wahrheit den Weg zum „Himmel“ weisen können. Und wir, die Gläubigen, folgen ihnen oft nur allzu bereitwillig.
Doch ist die Wissenschaft wirklich im Besitz der Wahrheit? Ein Blick auf die Diskussion rund um die milliardenschwere Antidepressiva-Industrie lässt ernsthafte Zweifel aufkommen. Gründliche Analysen der Literatur zeigen, dass die Wahrheit hinter diesen Medikamenten oft fragwürdig ist. Interessanterweise scheint der Glaube an ihre Wirksamkeit umso stärker zu sein, je größer das wirtschaftliche Interesse an ihrem Verkauf ist.
Ähnliches gilt für veröffentlichte Forschungsergebnisse in diesem Bereich. Wird eine Studie von der Pharmaindustrie finanziert, sind die Ergebnisse meist auffällig positiv. Kurz gesagt: Verbraucher müssen an die Wahrheit der Wissenschaft und der Hersteller glauben – denn genau dieser Glaube verleiht Wissenschaftlern und Herstellern Macht und finanziellen Gewinn.
Demnächst Teil 2: Zen und die Wahrheit
Dies ist der erste Teil eines Essays mit dem Titel „Zen, Meditation und die Wahrheit“. Der zweite Teil erscheint demnächst und beleuchtet, wie der Zen-Buddhismus die Vorstellung von Wahrheit auflöst. Dabei wird es um die Befreiung von festen Konzepten und die Rolle der Meditation bei der Entwicklung einer erweiterten Wahrnehmung gehen. Schaut bald wieder vorbei für den zweiten Teil oder meldet euch für den Zenletter an, um regelmäßig über neue Blogartikel informiert zu werden.
Rients Ran Zen
Zen-Meister und Gründer von Zen.nl
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